LANGGÖNS - Den freundlichen Applaus des Publikums nach knapp zwei Stunden hatten sich die drei Personen auf der Bühne redlich verdient und eigentlich konnten sich die Langgönser auch selbst beklatschen. Denn mit ihren vielfältigen Fragen hatten sie am Mittwochabend dafür gesorgt, dass die Podiumsdiskussion des Gießener Anzeigers zur Langgönser Bürgermeisterwahl eine erkenntnisbringende Veranstaltung war. Rund 330 Frauen und Männer füllten das Bürgerhaus der Kerngemeinde, weil sie die Bewerber Sabrina Zeaiter (SPD) und Marius Reusch (CDU) besser kennenlernen wollten. Dritter im Bunde war Anzeiger-Redakteur Ernst Walter Weißenborn, der nicht nur seine eigenen Fragen stellte , sondern die Kandidaten auch mit mehr als einem Dutzend Anliegen der Wähler konfrontierte. Bei vielen Punkten waren sich die 37-Jährige und der 35-Jährige einig.
Meinungsunterschiede
Unterschiede traten aber gleich zu Beginn bei den Themen "Straßenbeiträge" und "Windkraft" zutage. Reusch bekannte sich zu Straßenbeiträgen, die eine sinnvolle Funktion hätten. Die Bürger könnten bei der Gestaltung mitreden und das Parlament habe den maximalen Anteil der Anwohner auf 50 Prozent gesenkt. Für Veränderungen zeigte er sich prinzipiell offen, entscheiden müsse die Gemeindevertretung. Wichtig sei ihm eine Bürgerversammlung, bei der die verschiedenen Modelle vorgestellt werden. "Dass das Land es zahlt, hielte ich für unseriös. Es ist eine kommunale Aufgabe", so der Oberkleener.
Zeaiter verwies darauf, dass die Landes-SPD in ihrem Programm die Abschaffung der Straßenbeiträge fordert, deshalb sei es nicht unseriös. Wenn die SPD dies nach der Landtagswahl nicht durchsetzen könne, müsse man wiederkehrende Beiträge prüfen. Der jetzige Zustand sei nur "eine Scheinlösung", denn arme Kommunen könnten es sich nicht leisten, auf Straßenbeiträge zu verzichten. Zu befürchten sei dann, dass Bürger in die Kommunen ziehen, die die Beiträge abgeschafft haben.

Die Wetzlarerin betonte zum zweiten Thema, dass ihr ein Windrad im Garten lieber sei, als ein Atom- oder Kohlekraftwerk in der Nähe. Sie wolle aber Langgöns nicht mit Windrädern "umzingeln". Wenn es in einem Vorranggebiet Probleme mit dem Naturschutz gebe, müsse man einen besseren Standort suchen.
"Ich bin eindeutig gegen Windräder in unserer Gemeinde und generell im Wald", erklärte Reusch und erinnerte an die Vorrangfläche zwischen Oberkleen und Niederkleen. Er sei froh über den Parlamentsbeschluss, dort nichts zu entwickeln. Im Hambacher Forst sei der Wald heilig, aber für Windräder solle er geopfert werden. Für den Rest des Abends gab es bei den Bewerbern aber fast nur inhaltliche Übereinstimmung mit kleinen Unterschieden in Details und Vorgehensweise.
Pendlern ins Rhein-Main-Gebiet brennen die Probleme beim Zugverkehr unter den Nägeln. Ein Bürger wollte wissen, wie Zeaiter und Reusch unterstützen können (siehe auch Seite 31). Der CDU-Bewerber erklärte, dass ein Bürgermeister nur Druck machen könne beim Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) und die Behörden konstant mit den Interessen der Gemeinde "nerven" müsse. Die SPD-Kandidatin pendelt jeden Tag von Wetzlar nach Marburg und will als Bürgermeisterin im ständigen Dialog mit dem RMV stehen, dann die Bürger über die Pläne informieren und "gemeinsam den Widerstand organisieren".
Führungsqualitäten
Als Bürgermeister oder Bürgermeisterin ist man Chef oder Chefin eines mittelständischen Unternehmens - das war die Ausgangsbasis einer Frage, die die Qualifikation zum Führen einer Verwaltung betraf. Sabrina Zeaiter erklärte, dass sie an der Marburger Uni in einem kleinen Team Personal führe, bei Projekten auch mal in einem größeren Team. Wichtig sei es, zu vertrauen und Handlungskompetenzen zu geben. Marius Reusch bezeichnete sich als Führungsperson, als Vertreter des Bürgermeisters habe er in dessen Urlaub schon die Verwaltung geleitet. "Ich merke, dass ich das kann."
Um das Miteinander in der Gemeinde ging es in einer weiteren Frage. Zeaiter hatte zwar viel Zusammenarbeit von Vereinen oder Feuerwehren gesehen, bedauerte aber, dass sich die wenigsten als Bürger der Großgemeinde fühlten. Ihr Vorschlag lautete, den jährlichen Dorfgemeinschaftstag abwechselnd in allen Ortsteilen abzuhalten. Reusch hingegen denkt nicht, dass sich eine übergreifende Identität schaffen lässt. "Die Gemeinschaft entsteht im Dorf." Er kann sich einen Ausbau des Dorfgemeinschaftstages vorstellen, plädierte für ein Gemeindefest zum 3. Oktober, das abwechselnd in allen Ortsteilen abgehalten werden könne.
Beide sind keine Neulinge in der Kommunalpolitik und engagieren sich hier schon länger. Zeaiter tut dies in ihrem Heimatort Hermannstein, in der Stadtverordnetenversammlung in Wetzlar und im Kreistag des Lahn-Dill-Kreises. Sie war in den vergangenen Monaten in Langgöns unterwegs, um sowohl die Gemeinde als auch die Menschen kennenzulernen. Kennenlernen musste Reusch die Gemeinde nicht, er kommt aus Oberkleen und ist seit 2012 kommunalpolitisch aktiv und seit zwei Jahren Erster Beigeordneter.
"Kommunikation ist mein Tagesgeschäft", erklärte Sabrina Zeaiter und verwies auf ihre Tätigkeit in Forschung und Lehre an der Universität Marburg. Sie will auf eine starke Bürgerbeteiligung setzen. Marius Reusch ist Historiker und macht derzeit sein Referendariat an der Limesschule in Altenstadt. Er sei "hier verwachsen", spielte der CDU-Kandidat seinen Heimvorteil aus. Hier lebe seine Familie, hier sei er groß geworden.
Warum er Bürgermeister werden wolle, sei er bei seinen Hausbesuchen oft gefragt worden. Hier zitierte er seinen Großvater: "Hei müsse gescheite Leut bei. Om beste, ech gie selbst voane weg." Das bedeute, man müsse bereit sein, Verantwortung zu übernehmen. Um vorneweg zu gehen, brauche es Selbstvertrauen - auch, um andere zu überzeugen.
"Ländlich, nicht abgelegen"
Was mögen die beiden Kandidaten an der Gemeinde Langgöns? Sabrina Zeaiter lobte die Vereine und die "funktionsfähige Gemeinschaft". Auch die Natur gefalle ihr sehr gut, sie fühle sich hier sehr wohl. "Ländlich, aber nicht abgelegen" beschrieb Marius Reusch Langgöns. Es gebe viel Natur, aber auch Gewerbe, viele engagierte Menschen und attraktive Arbeitsplätze. Als "Problemzone" bezeichnete Reusch etwa die Verkehrslage im Kernort Lang-Göns. Ganz und gar nicht sein Stil seien "politische Spielchen". Das wolle er "durchbrechen". Es gebe in allen Feldern politische Herausforderungen, die man gemeinsam anpacken müsse.
Allgemein müsse man, so Zeaiter, mehr für frühkindliche Bildung tun. Bildung solle kostenlos sein. In Sachen Mobilität und Öffentlicher Personennahverkehr will sie sich einsetzen, um gerade bei Letzterem "wie eine Löwin" für bessere Verbindungen zu kämpfen.
Sehen sich die Kandidaten als Mittler, Ideengeber, kühler Sachbearbeiter oder kämpferischer Mehrheitensucher? Marius Reusch will Kommunikator sein, ein Vermittler und Ideengeber, der die Menschen mitnimmt. "Ich bin kein Scharfmacher", so der CDU-Mann. Er habe als Kind und Jugendlicher von Langgöns profitiert, das wolle er weitertragen. Dabei will er sach- und lösungsorientiert arbeiten. "Etwas von allem", lautete die Antwort von Sabrina Zeaiter. Sie plädierte für flache Hierarchien, offene Türen und Teamarbeit - auch mit den Bürgern. Bevorzugen die Kandidaten eher Großunternehmen oder den Mittelstand für Langgöns? Könnten sie sich gar ein Outlet am "Steinacker" vorstellen? Ein Outlet lehnten beide ab und sprachen sich dafür aus, mittelständische Unternehmen zu fördern. Beide Kandidaten präsentierten sich souverän, nun darf man gespannt sein, wer das Rennen machen wird.

Quelle: Gießener Anzeiger, 17.10.2018 (geänderte Überschrift)

https://www.giessener-anzeiger.de/lokales/kreis-giessen/landkreis/langgonser-kandidaten-uneinig-uber-windkraft-und-strassenbeitrage_19124973

« CDU-Gemeindeverband läutet Endspurt ein Podiumsdiskussion der beiden Bürgermeisterkandidaten in Langgöns »

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